Stellungnahme der International Society for Pre- and Perinatal Psychology and Medicine (ISPPM) zu den Besuchseinschränkungen in Kinderkrankenstationen
Das Kind im Krankenhaus: Kein Besuch von Vater oder Mutter? Stellungnahme der International Society for Pre- and Perinatal Psychology and Medicine (ISPPM) zu den Besuchseinschränkungen in Kinderkrankenstationen
Die deutschen Landesregierungen haben ausnahmslos weitgehende Kontaktverbote erlassen. Auch Krankenhäuser sind davon betroffen. In den meisten Verordnungen der Länder über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie heißt es „In den Krankenhäusern gilt ein generelles Besuchsverbot.“ In den Verordnungen aller 16 Bundesländer sind Ausnahmen der strikten Besuchsverbote für Kinderkrankenstationen vorgesehen (siehe Seite 3).
Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ) druckt auf ihrer Homepage die „Besuchsregelung Corona-Virus“ einer Kinderklinik ab, die erhebliche Besuchseinschränkungen beinhaltet, die z.T. über Länderverordnungen hinausgeht:
Regelungsbeispiel einer Kinderklinik (gesamte Besuchsregelung siehe www.dgkj.de)
Besuchsregelung Corona-Virus
Zugangsbeschränkungen für Besucher in der Kinder- und Jugendmedizin
Stationäre Kinder mit Begleitperson (Mutter oder Vater):
- kein weiterer Krankenbesuch
- Begleitperson muss selber symptomfrei sein (kein Husten, kein Fieber) und keinen Kontakt zu COVID-19 Patienten gehabt haben
Stationäre Kinder oder Jugendliche ohne Begleitperson:
- Bei Aufnahme Festlegung einer sorgeberichtigten Person (Mutter oder Vater)
- Begleitperson muss selber symptomfrei sein (kein Husten, kein Fieber) und keinen Kontakt zu COVID-19 Patienten gehabt haben
- Nur diese eine, namentlich benannte Person hat Besuchsrecht.
Neugeborene im Perinatalzentrum, Patienten der Intensivstation:
- Besuchsrecht der Mutter (wenn symptomfrei und kein Kontakt zu COVID-19 Patienten – sonst strikt kein Besuch!)
- Besuchsrecht des Vaters in Abstimmung mit Stationsteam (wenn symptomfrei und kein Kontakt zu COVID-19 Patienten – sonst strikt kein Besuch!)
- Keine weiteren Besucher
- Zeitgleich nur 1 Eltern/Kind Känguruhen pro Zimmer
Die einzelnen Festlegungen der (anonymisierten) Kinderklinik bedeuten in der Praxis:
Stationäre Kinder mit Begleitperson (Mutter oder Vater):
- Wird die Mutter des kranken Kindes als Begleitperson mitaufgenommen, darf der Vater des Kindes (oder eine andere Vertrauensperson) Mutter und Kind nicht besuchen. Wird der Vater mitaufgenommen, wird die Mutter ausgesperrt.
- Stillenden Müttern mit Zeichen oder Risiken zu COVID-19-Infektion wird das Stillen ihrer im Krankenhaus behandelten Kinder verwehrt, anstatt Mutter und Kind gemeinsam zu isolieren.
Stationäre Kinder oder Jugendliche ohne Begleitperson:
- Bei der stationären Aufnahme des Kindes soll eine sorgeberechtigte Person als einzige („namentlich benannte“) Besuchsperson festgelegt werden. Ist die Mutter benannt, darf der Vater sein krankes Kind nicht besuchen; ist der Vater benannt, darf die Mutter ihr Kind nicht besuchen.
- Besteht bei einer alleinerziehenden Mutter (ohne Kontakt des Vaters zum Kind) oder bei beiden Eltern ein Risiko zu Covid-19-Infektion, erhält das Kind keinen Elternbesuch.
Neugeborene im Perinatalzentrum, Patienten der Intensivstation:
- Auch Kinder, die in Perinatalzentren oder Pädiatrischen Intensivstationen behandelt werden, sollen nur von der Mutter oder dem Vater besucht werden.
- „Zeitgleich nur 1 Eltern/Kind Känguruhen pro Zimmer“ bedeutet eine erhebliche Reduktion der Känguru-Zeiten für frühgeborene und kranke Neugeborene. Auf Neugeborenen-Intensivstationen mit bis zu 10 Betreuungsplätzen werden die Känguru-Zeiten für das einzelne Kind von mehreren auf nur 1-2 Stunden pro Tag reduziert. In „Känguru-Stationen“ mit jeweils zwei Eltern-Kind-Betten darf immer nur ein Kind „Känguruhen“, auch wenn die Elternbetten mehr als 1.5 m voneinander entfernt sind.
Auch wir sehen die Notwendigkeit von Kontakteinschränkungen. Sie dürfen aber nicht mehr schaden als nützen. Da sich die Übertragung von Covid-19 durch hygienische Maßnahmen minimieren lässt, sollten Kontaktverbote vermieden werden, die zu schweren psychischen Schäden führen können. Aus den Zeiten, als Besuche kranker Kinder durch die Eltern nicht oder nur sehr begrenzt erlaubt waren, wissen wir, dass Kontaktsperren zwischen Eltern und Kindern zu lebenslangen Traumen führen können. Deshalb wurden ja die restriktiven Besuchsregeln abgeschafft. Sie sollten jetzt nicht ohne Beachtung der Folgen wieder eingeführt werden. Fehlende Atemmasken und Hygienekleidung dürfen kein Grund für Besuchsverbote kranker Kinder sein!
Dies gilt auch für Frühgeborene und kranke Neugeborene. Aus zahlreichen Publikationen ist bekannt, dass tägliche mehrstündige Känguru-Zeiten die Hirnentwicklung der Kinder und die Mutter-/Vater-Kind-Bindung fördern.
Wir empfehlen Kinderkliniken folgende Besuchsregelungen:
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Stationär behandelte Kinder mit aufgenommener Begleitperson:
- Zwei erwachsene enge Bezugspersonen des kranken Kindes, die selbst keine Symptome oder erhöhte Risiken zu Covid-19-Infektion aufweisen, werden bei der Aufnahme benannt.
- Eine Bezugsperson (Mutter oder Vater) wird als Begleitung des Kindes mit aufgenommen.
- Die zweite Bezugsperson (Elter oder Vertrauensperson) kann das Kind und die mitaufgenommene Begleitperson täglich zu festgelegten Zeiten besuchen.
- Die besuchende Bezugsperson kann sich mit der Begleitperson nach Rücksprache mit der ärztlichen und pflegerischen Stationsleitung abwechseln.
- Stillende Mütter mit Symptomen oder erhöhten Risiken zu Covid-19-Infektion können in Isoliereinheiten mit ihrem Kind aufgenommen werden.
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Stationär behandelte Kinder ohne Begleitperson:
- Zwei erwachsene enge Bezugspersonen des kranken Kindes, die selbst keine Symptome oder erhöhte Risiken zu Covid-19-Infektion aufweisen, werden bei der Aufnahme benannt.
- Beide Bezugspersonen können das kranke Kind täglich zu fest gelegten Zeiten (auch über eine Stunde hinaus und mehrmals am Tag) besuchen.
- Wenn mehrere Kinder in einem Raum liegen, dürfen die beiden Bezugspersonen das Kind nicht gemeinsam besuchen.
- Auch Jugendliche ≥16 Jahre können täglich von den Eltern besucht werden. Großzügige Besuchszeiten sollten für alle Jugendlichen bis 15, im Einzelfall bis 17 Jahre gelten.
- Geschwister sollten nicht komplett von Besuchen ausgeschlossen sein.
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Känguruhen in der Neonatologie:
- Zwei Bezugspersonen (Mutter und Vater/Vertrauensperson) können sich abwechseln.
- Känguru-Pflege ist auch erlaubt, wenn mehrere Kinder im gleichen Raum betreut werden. Der Abstand von 1,5 m wird eingehalten.
Verordnungen der Bundesländer Deutschland zu Besuchen erkrankter Kinder:
Baden-Württemberg 28.03.2020: Ausnahmen … können … für nahestehende Personen im Einzelfall … zur Begleitung eines erkrankten Kindes … zugelassen werden.
Bayern 27.03.2020: Untersagt wird der Besuch von Krankenhäusern … ausgenommen hiervon sind Geburts– und Kinderstationen für engste Angehörige
Berlin 02.04.2020: Kinder unter 16 Jahren … dürfen einmal am Tag von einer Person für eine Stunde Besuch empfangen, allerdings nicht von Menschen mit Atemwegsinfektionen.
Brandenburg 31.03.2020: Kinder unter 16 Jahren dürfen einmal am Tag von einer nahe stehenden Person für eine Stunde Besuch empfangen, allerdings nicht von einer Person mit Atemwegsinfektionen.
Bremen 03.04.2020: Krankenhäuser … müssen … Ausnahmen zulassen. … Ein solches Interesse liegt insbesondere bei Minderjährigen, Gebärenden … vor.
Hamburg 02.04.2020: Es ist höchstens eine Besuchsperson für eine Stunde … zuzulassen. Die Einrichtungen können … Ausnahmen zulassen, wenn ein besonderes berechtigtes Interesse vorliegt. (Kinderstationen werden nicht gesondert erwähnt.)
Hessen 13.03.2020: „Abweichend dürfen Personen … durch … ihre Eltern, wenn es sich um ein minderjähriges Kind handelt, … besucht werden.
Mecklenburg-Vorpommern 02.04.2020: Die zeitliche Begrenzung auf eine Stunde gilt nicht für jeweils ein Elternteil oder Erziehungsberechtigte oder Erziehungsberechtigten für Kinder unter 14 Jahren sowie eine Person während der Geburt im Kreissaal.
Niedersachsen 24.03.2020: Ausgenommen von den Besuchsverboten sind Besuche von werdenden Vätern, von Vätern von Neugeborenen, von Eltern und Sorgeberechtigten von Kindern auf Kinderstationen
Nord-Rhein-Westfalen: Die Einrichtungsleitung soll Ausnahmen unter Schutzmaßnahmen und nach Hygieneunterweisung zulassen, wenn es medizinisch oder ethisch-sozial geboten ist (z.B. auf Geburts- und Kinderstationen sowie bei Palliativpatienten).
Rheinland-Pfalz 31.03.2020: maximal ist ein registrierter Besucher je Bewohner oder Patient pro Tag zuzulassen. … Ausgenommen davon sind medizinisch oder ethisch-sozial angezeigte Besuche, insbesondere auf Kinderstationen.
Saarland 30.03.2020: identisch mit Rheinland-Pfalz
Sachsen 31.03.2020: Ausgenommen vom Verbot sind Besuche von engsten Angehörigen auf Geburts-, Kinder- und Palliativstationen.
Sachsen-Anhalt 02.04.2020: In den Krankenhäusern gilt ein generelles Besuchsverbot. Ausnahmen bestehen bei medizinischen oder ethisch‐sozialen Gründen (z. B. Frühgeborene, für Geburts‐ und Kinderstationen, Palliativpatienten).
Schleswig-Holstein08.04.2020: Die zeitliche Begrenzung auf eine Stunde gilt nicht für jeweils ein Elternteil oder eine erziehungsberechtigte Person für Kinder unter 14 Jahren.
Thüringen 26.03.2020: Es ist maximal ein registrierter Besuch pro Patient … pro Tag für maximal eine Stunde … zulässig. Für …. Besuche von Geburts-, Kinderstationen können abweichende Regelungen von der Einrichtung getroffen werden.
8. April 2020
Prof. Dr. Otwin Linderkamp Kinderarzt, Wissenschaftlicher Beirat der ISPPM
Sc. Psychologie Swen Galster Sprecher der Arbeitsgruppe „Väter“ der ISPPM
Prof. Dr. Amara Eckert Präsidentin der ISPPM
Korrespondenz: olinderkamp@yahoo.de