Teil 1: Geschichtliche Rahmenbedingungen für Elternschaft
In unserem Arbeitskreis ging es zunächst um die psychohistorische Dimension – um
unsere Erfahrungen als Kinder in den verschiedenen Jahrgängen vor und nach
Kriegsende, mit den entsprechenden unterschiedlichen „Rahmenbedingungen” in
den verschiedenen Dekaden: Wie wirkte sich das auf unsere jeweilige Elternschaft
aus?
Die werdenden Eltern der letzten Jahre sind die Kinder der Kriegs- und Nachkriegs-
Kinder und wuchsen mehr oder weniger noch nach den vor allem durch die Kaiserund
Nazizeit geprägten Einstellungen und Regeln zu Schwangerschaft, Geburt und
Säuglings- und Kleinkind-Versorgung und Erziehung auf,
Der Raum des Fühlens fand noch keine Sprache, es erfolgte noch keine sogenannte
„Mentalisierung” früher Vorgänge/Gefühle in der Eltern-Kind-Interaktion. Es fand
keine positive Erfahrung wechselseitiger Regulation, keine Bemühung um eine
stimmige Eltern-Kind-Bindung statt – und auch keine gezielte Befähigung zum
Umgang mit Konflikten.
In dieser Übergangszeit von alten Regeln zu neuen Erkenntnissen – und den damit
verbundenen Verunsicherungen der Eltern – gab es Varianten, von denen nur zwei
gegensätzliche angedeutet werden:
Die eine Variante wurde durch die angepassten Eltern gelebt:
Deren Wunsch, dass die Kinder es besser haben sollten als sie, hat nicht selten zu
materieller Verwöhnung geführt, vermutlich aber auch zu emotionalen
Verlassenheiten, zu narzistischem Missbrauch durch liebeshungrige Mütter oder
emotionslose Väter, also zu einer emotionalen Vereinnahmung oder Ähnlichem.
Diese Variante erschwerte es den Kindern der Kriegs- und Nachkriegskinder
offenbar, sich selbst um ihrer selbst willen zu finden und eine stabile Identität zu
entwickeln. Sind das mögliche Gründe für die „Angst vor Nähe” (als oft geäußertes
Problem) – und damit auch Barrieren für die Stabilität der Beziehungen und für die
Entwicklung stimmiger Eltern-Kompetenzen?
Die andere Variante entwickelte sich in der Übergangszeit in den 70/80-er Jahren,
als die Verbreitung der neuen Erkenntnisse der Sozialwissenschaften, der
humanistischen Psychologie, der Frankfurter Schule, der neuen Pädagogik einsetzte
– mit weitgehenden Folgen für die Generationsbeziehungen: Diese Eltern machten
sich viele Gedanken und begaben sich auf neue Wege, indem sie mit Reform-
Pädagogik-Ideen aus der Zeit der Weimarer Republik und aus anderen Ländern, z.
B. Summerhill-Pädagogik oder Früherziehungs-Ritualen aus Naturvölkern,
experimentierten und häufig auch scheiterten. Im Allgemeinen hatten die
rebellierenden Nachkriegs-Eltern eine liberale Früherziehung nicht selbst erlebt.
Bewusst oder unbewusst spürten daher die Kinder, die heutigen Eltern, die
Verunsicherung ihrer Eltern in der eigenen frühen Kindheit.
Insofern sind diese in den letzten Jahren zu Eltern gewordenen oder Eltern
werdenden Frauen und Männer auf Bewusstmachung ihrer eigenen
Kindheitsgeschichte und auf den Erwerb neuer Erkenntnisse und Verhaltensweisen
in Richtung auf Eltern-Kompetenz angewiesen. Sie müssen neu ihre Positionen
suchen und finden.
Zugleich werden sie überflutet, verwirrt und manipuliert durch eine Unzahl von
Schwangerschaftsbegleit- und Früherziehungs-Informationen im Internet und als
Ratgeber-Lektüre, in denen nahezu alle Trends – von der Drillerziehung bis zur
Antipädagogik – aufgegriffen werden.
Hinzu kommt eine strukturelle Veränderung der gesellschaftlichen, staatlichen und
marktwirtschaftlichen Vereinnahmung von Schwangerschaft, Geburt und
Früherziehungs-Zeit.
Teil 2: Gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen für Elternschaft
Bei der Diskussion der Rahmen-Bedingungen geht es sowohl um gesellschaftliches
als auch um wirtschaftliches Tun und Unterlassen.
Wo wird für die Frauen und Männer im Kontext von werdender oder bestehender
Elternschaft etwas getan, was besser im Sinne einer Entwicklungs-Zielsetzung zu
unterlassen wäre?
Wo wird etwas unterlassen, was besser zu tun wäre, um Eltern-Kompetenz im
doppelten Sinne zu fördern?
1. Wir haben es allgemein mit einem Prozess der Unterwerfung des Dienstleistung-
Sektors und damit auch der medizinischen und beraterischen Dienstleistungen
unter die ethik-neutralen Regeln einer Gewinn-, Konkurrenz-, Effizienz- und
Markt-Orientierung zu tun.
In den letzten zwei Jahrzehnten sind viele Bereiche staatlicher Gesundheits-
Angebote privatisiert und damit ungefiltert durch gesundheitspolitische und
ethische Leitlinien den Marktmechanismen unterworfen worden.
„Ethikneutral“ ist ein eher beschönigender Begriff, denn Markt-Mechanismen
erzeugen besonders im Dienstleistungs-Bereich zumeist eine antihumane
Ausrichtung der Prozesse (Ausdünnung der Personaldecke, Vernachlässigung
unwirtschaftlicher Bereiche, Bevorzugung gewinnbringender Eingriffe).
2. Nicht mehr der reale Kunden-Nutzen, die psychische und körperliche Gesundheit
von Mutter und Kind, die Entwicklungs-Unterstützung für die Familie und die
optimale Förderung des Kindes in Richtung auf Eigenständigkeit und
Zusammengehörigkeit (Autonomie und Interdependenz) stehen im Vordergrund,
sondern betriebswirtschaftliche Kenngrößen von Effizienz und Rendite (z. B.
return of investment, Fallpauschalen, Belegungs-Quoten, Abrechnungs-Ziffern,
Kosten-Nutzen-Rechnungen) bestimmen das Entwicklungs-Geschehen um
Zeugung, Schwangerschaft, Geburt und frühe Kindheit.
3. Obwohl wir in Deutschland ein im europäischen Vergleich gut ausgebautes
Hebammen-System haben, sind die Wirkungs-Möglichkeiten der Hebammen in
den letzten beiden Jahrzehnten erheblich eingeschränkt worden (z. B. Erhöhung
der Versicherungs-Kosten, schlechte Bezahlung, Druck durch KomplikationsÜberzeichnung
seitens der Ärzte).
Auch dies entspricht der Konkurrenz-Logik des Medizin-Marktes (massive
Kunden-Abwerbung durch Angst-Erzeugung: Nur im Krankenhaus mit einer gut
ausgestatteten Notfall-Abteilung sei die gewünschte Sicherheit garantiert.)
4. Ebenfalls ist die Anzahl der Geburten zurückgegangen, so dass der
gesundheitliche und psychosoziale Erwartungs-Druck der Eltern bezogen auf
jedes einzelne Kind steigt. Kinder sind ein erheblicher Kosten- und Belastungs-
Faktor im Geld- und Zeit-Budget einer Familie. Finanzielle Schlechterstellung
gegenüber kinderlosen Paaren (DINKs: double income, no kids), Karriere-
Einbußen in der Berufs-Tätigkeit durch Brüche in der Berufs-Biografie werden für
Kinder in Kauf genommen. Alleinerziehen von Kindern ist oft ein Sozial-,
Isolations- und Armuts-Faktor.
5. Dem entspricht eine Ausweitung des Spektrums von diagnostischen Verfahren
vor der Implantation bis hin zur Geburt. Die Verfahren wurden zugleich erheblich
verfeinert, so dass sich viele ethisch fragwürdige Möglichkeiten der biologischsozialen
Vorselektion (Zuchtwahl) eröffnet haben. Zugleich ist von Seiten der
Krankenkassen und des Staates das Pflicht-Netz prä- und postnataler Kontrollen
für Mutter und Kind bzw. für das Neugeborene in den vergangenen Jahren enger
gestrickt worden.
Vorgebliche Sicherheits-Konzepte (Mutter-Pass mit Untersuchungen, Ultraschall-
Terminen und genormten Messungen) bewirken auf der Oberfläche ein
Sicherheits-Gefühl, auf der tieferen Ebene jedoch ein Gefühl zunehmender
Verunsicherung der Schwangeren, ihrer Partner und des ungeborenen Kindes:
(„Schrecklich, was da alles unserem Kind passieren könnte” oder von Seiten des
Kindes: „Darf ich bleiben?”)
6. Die Erfahrung einer harmonischen, stressarmen Schwangerschaft sowie einer
natürlichen Geburt wird immer mehr zur gesellschaftlichen Ausnahme-Situation,
gleichsam in den Bereich der Exotik gestellt.
Im Mittelpunkt stehen nicht mehr Überlegungen, den Müttern eine stressarme und
behagliche Schwangerschaft zu bereiten, sondern durch eine enge Abfolge von
zum Teil in Hinblick auf die psychische Wirkung (Vermehrung von Angst und
Unsicherheit) fragwürdigen Untersuchungen eine Pseudo-Geborgenheit zu
vermitteln, Schuldgefühls-Entstehung scheinbar zu reduzieren (Ich habe ja
schließlich alles wahrgenommen, was angeboten wurde.) und die Oberflächen-
Angst zu minimieren (Anstatt mir – meinem Leib, meiner Intuition, den fein
abgestimmten natürlichen Entwicklungs-Prozessen – zu vertrauen, vertraue ich
den Experten in Weiß.)
An die Stelle der Emanzipation von Müttern und Vätern durch Selbst-
Ermächtigung in Verbindung mit einer aktivierenden, die Gefahren relativierenden
Aufklärung (ein Restrisiko bleibt so oder so erhalten) tritt eine depotenzierende
Fremd-Kontrolle durch daran gut verdienende Fachleute.
7. Die Existenz und dementsprechend auch Rechte der Kinder im Mutterleib
einschließlich des Geburts-Prozesses sind bisher noch überhaupt nicht offiziell
formuliert (außerhalb der ISPPM). Auch Rechte für Babys und Kleinkinder sind
nicht spezifisch auf deren Entwicklungs-Erfordernisse hin benannt worden.
Es besteht eine geringe Fähigkeit (Empathie) und Bereitschaft in der
Gesellschaft, die gesellschaftlichen und familiären Entwicklungs-Bedingungen
konsequent unter Einbeziehung des aktuellen Forschungs-Standes (u. a.
Bindungs-Forschung oder Pränatal-Psychologie) aus der Perspektive der
„werdenden Menschenkinder“ zu betrachten.
Wirtschaftliche (Frauen als hochqualifizierte Arbeitskräfte), parteipolitische,
frauenrechts-bezogene und institutionelle Fragestellungen (Ausstattung der Kitas,
Ausbildungs-Qualität des Personals) überlagern die Orientierung an den Kinder-
Bedürfnissen.
8. Eine systematische Aufklärung und Kompetenz-Förderung von werdenden Eltern
(Elternschule, Eltern-Führerschein, Fach: Psychosoziale Prävention in den
Schulen) findet gesellschaftlich nicht statt, obwohl erste Konzepte dafür
inzwischen vorliegen.
“Gesellschaftlich wäre schon viel gewonnen, wenn die Bedeutung der frühen
Kindheit akzeptiert und die Sozialpolitik die optimale Betreuung von Kindern zur
zentralen Aufgabe machen würde. Dazu gehören natürliche Entbindungen,
Elternschulen, die Entwicklung guter Mütterlichkeit und Väterlichkeit, ein
Orientierungswandel von der Erziehung zur Beziehung sowie kindorientierte
Betreuungsformen O Auf dieser Grundlage könnte eine „Beziehungsgesellschaft“
wachsen.“ (Hans-Joachim Maaz: „Die narzisstische Gesellschaft“, München, 2012, S.
217)
Teil 3: Eltern-Kompetenz als Transformations-Prozess
Die Zeit von Schwangerschaft, Geburt und früher Kindheit beinhaltet für Mutter und
Vater einen Transformationsprozess in Richtung Eltern-Kompetenz.
Dieser innere Wachstumsprozess soll von uns als Begleitenden in wohlwollender
Weise erkundet und begleitet werden.
• Kompetenz ist Fähigkeit von Wissen und Können, den Prozess der Entscheidung
für Kinder (bewusste und verantwortliche Zeugungsbereitschaft), der
Schwangerschaft und Geburt (selbstbewusste Eigen- und Partner-Begleitung)
und des zumindest triadischen Familien-Miteinanders in der Nachgeburts-Zeit
(Bindungs- und Entwicklungs-Bewusstsein) auf dem Stand der aktuellen
Diskussion für alle Beteiligten gut genug (Winnicott) gemeinsam zu gestalten.
Die Arbeitsgruppe ist jetzt dabei Leitlinien für Multiplikatoren in der Eltern-Begleitung
zur Kompetenz-Aneignung zu formulieren. Ein Entwurf findet sich im Anhang.
Teil 4: Möglichkeiten der Förderung konstruktiver Elternschaft
In den gegenwärtigen Rahmenbedingungen (siehe Teil 2) ist der manipulative Faktor
des “herrschenden Prinzips” groß und schürt bei werdenden Eltern Angst und
Verunsicherung. Hinzu können mehr oder weniger unbewusste bzw. bewusste
emotionale Erfahrungen in den eigenen Kindheiten kommen. Daher ist es für das
werdende Kind von großer Bedeutung, um seiner selbst willen gewollt, beschützt und
gefördert zu werden, und nicht zur Heilung der Wunden der Eltern.
Praktische Möglichkeiten der Förderung von Elternkompetenz:
1. Frühe Vermittlung von Wissen über das beginnende und wachsende Lebewesen –
schon in den oberen Klassen von Schulen und in Jugendzentren und Elternschulen:
Sensibilisierung für die Notwendigkeit des werdenden Kindes, im Uterus einen
ungestörten Raum des Wachsens zu haben (Kindes-Interesse) – und anderseits
Schulung des kritischen Umgangs mit Angeboten aus Medizin und Technik
(Marktwirtschafts-Interessen).
2. Breites Angebot von Gesprächsgruppen mit werdenden Eltern – an Wochenenden,
an denen auch Väter die Möglichkeit dazu haben – Förderung der Triangulierung!
Nur in Gruppengesprächen könnte sich mithilfe des Identifizierens mit anderen in der
gleichen Situation ein Weg anbahnen, Angst, Abwehr und Widerstand zu lösen, um
Erinnerungen an eigene Kindheitserfahrungen anzusprechen – und dann erst den
Mut zu finden, aus den “mainstream-Sicherheitsvorschriften” auszusteigen und
gemeinsam neue Wege zu finden, die nicht nur wieder neue Vorschriften sind,
sondern Vertrauen in die eigenen Intuitionen und die Fähigkeit zur Empathie.
3. Erstellung einer kurzen Broschüre, deren Titel keinen Widerstand auslösen darf
(im oben beschriebenen verstehenden Sinn)…und über die Kassen verteilt wird – u.a.
auch mit der Ankündigung von Gesprächsgruppen (und nicht über Ärzte, die sich
möglicherweise gegen solche Broschüren aktiv wenden würden.)
4. Ein Buch oder eine Aufsatzsammlung im Sinne des Mutter-stärkenden Buches :
Dick-Read, Grantly: Mutterwerden ohne Schmerz. Die natürliche Geburt. Hamburg:
Hoffmann und Campe 20.Aufl. 1989, ein Buch, das eine eigene Möglichkeit für die
Mütter anbietet, sich auf die Mutterschaft vorzubereiten – ein Wegweiser für die
Befreiung von der Angst vor Schmerzen, die heute so geschürt wird
[Zu diesem Thema wird erstmalig eine groß angelegte Verbund-Studie vom
Bundesministerium gefördert:
Aus der Ankündigung http://idw-online.de/de/news549089
“Meine Kindheit – Deine Kindheit”
Eltern wollen das Beste für ihre eigenen Kinder. Welche Rolle spielen dabei aber ihre
eigenen Kindheitserfahrungen? Was befähigt Eltern dazu, ihre positiven
Kindheitserlebnisse auch in Stresssituationen der Elternschaft an die eigenen Kinder
weiterzugeben? Wer in seiner Kindheit Gewalt oder Vernachlässigung erlebt hat,
trägt ein erhöhtes Risiko, diese negativen Erfahrungen an sein Kind weiter zu geben.
Was befähigt Betroffene dazu, mit dem eigenen Kind dennoch einen besseren Weg
zu gehen? Welche Faktoren tragen dazu bei, dass Mütter eine feinfühlige Beziehung
zu ihrem Kind aufbauen? In der Studie „Meine Kindheit – Deine Kindheit“ suchen
erstmals in Deutschland Psychologen, Biologen und Mediziner durch einen
umfassenden Blick auf Mutter und Kind gemeinsam Antworten auf diese Fragen –
die nahe liegen, aber bisher kaum wissenschaftlich untersucht wurden.”.
Anhang:
Für Teil 3 liegt folgender Entwurf von Helmut von Bialy vor
Teil 3: Eltern-Kompetenz als Transformations-Prozess
Die Zeit von Schwangerschaft, Geburt und früher Kindheit beinhaltet für Mutter und
Vater einen Transformationsprozess in Richtung Eltern-Kompetenz.
Dieser innere Wachstumsprozess soll von uns als Begleitende in wohlwollender
Weise erkundet und begleitet werden.
Kompetenz in dem in unserer Arbeitsgruppe verstandenen weiteren Sinne umfasst
Dürfen und Können. Eltern-Kompetenz ist also in doppelter Weise zu verstehen:
• Einerseits ist Kompetenz Erlaubnis, das Eltern-Sein aktiv selbst- und
fremdverantwortlich zu leben, ungestört von nicht abgesprochenen und
ausdrücklich befürworteten Eingriffen aus dem staatlichen und medizinischem
Bereich (äußere Freiheit) und ungestört von Ängsten aus der Kindheit, aus
aktuellen Neurosen (z. B. Narzissmus) wie aus vorangegangenen Eltern- und
Partnerschafts-Erfahrungen (innere Freiheit).
• Andererseits ist Kompetenz Fähigkeit (Wissen und Können), den Prozess der
Entscheidung für Kinder (bewusste und verantwortliche Zeugungsbereitschaft),
der Schwangerschaft und Geburt (selbstbewusste Selbst- und Partner-
Begleitung) und des zumindest triadischen Familien-Miteinanders in der
Nachgeburts-Zeit (Bindungs- und Entwicklungs-Bewusstsein) auf dem Stand der
aktuellen Diskussion für alle Beteiligten gut genug (Winnicott) gemeinsam zu
gestalten.
Daraus leiten sich Leitlinien für die Eltern-Begleitung zur Kompetenz-Aneignung ab:
1. Ein künftiges Elternpaar (oder eine Mutter) ist sich in etwa der Verantwortung
bewusst, was es für ihr Leben heißt, wenn es einem Kind (oder mehreren
Kindern) die Chance zu leben einräumt.
Dieses Bewusstsein gilt es in staatlichen Bildungs-Einrichtungen allen Lernenden
(z. B. im Fach Gesundheitsprävention in den Abgangs-Klassen) zu vermitteln.
Prävention muss „schon sehr früh einsetzen; eigentlich bereits mit dem
Geschehen der Zeugung und Empfängnis, dem Umgang mit der
Schwangerschaft, der Art und Weise des Gebärens, der Einstellung zum Stillen
und der Qualität mütterlicher und väterlicher Beziehungsangebote.“ (Maaz S. 178)
2. Ein Paar kennt die wesentlichen Beratungs-Angebote für Schwangerschafts-,
Geburts- und frühkindliche (erstes bis drittes Jahr) Entwicklungs-Begleitung und
ist auch bereit, diese Angebote, wenn erforderlich, zu nutzen (Regionale Info-
Broschüren bei Frauen-Ärzt/-innen und im Internet).
3. Ein Paar kennt die Gefahren der körperlichen und seelischen Beeinträchtigung
von Embryos und Föten im Mutterleib durch toxische Stoffe (z. B. Alkohol und
Zigaretten) und durch Stress-Belastungen (Stress-Hormone).
(Bildungseinrichtungen, obligatorische Beratung und Broschüren)
4. Ein Paar weiß, dass die partielle (z. B. Geschlecht) oder pauschale Ablehnung
eines Kindes erhebliche Auswirkungen auf die Erlebens-Weise (zuversichtlich
oder eher depressiv) und Lebens-Konzepte ihres Kindes hat. Der Einfluss auf die
Entwicklung von Selbstwert und der psychosoziale Ausdruck des Gewollt- oder
Nichtgewollt-Seins ist ihnen klar.
5. Ein Paar weiß, welche Entwicklung ein Kind während der Schwangerschaft
durchläuft und wie es schon während der Schwangerschaft eine erste Bindung
zum Kind herstellen kann (Bindungsanalyse nach Raffai).
6. Ein Paar weiß, dass Liebe unter anderen das Bemühen um ein möglichst gutes
Verstehen ist, wie ein anderer Mensch ist, wie er denkt und fühlt. „Eine derart
gelingende Empathie ist die entscheidende Quelle für die narzisstische Sättigung
(des Kindes). Aber Empathie lässt sich nicht machen, nicht erlernen, sondern nur
freisetzen. Empathisch wird, wer sich selbst gut versteht und nichts mehr (vor sich
selbst) verbergen, verleugnen, sich zurechtbiegen und beschönigen muss. Eine
solche Selbsterfahrung wäre die wichtigste Aufgabe für „Elternschulen“, um die
narzisstische Schädigung von Kindern auf ein möglichst niedriges Niveau zu
senken.“ (Maaz S. 183 f)
7. Ein Paar weiß, dass „die Qualität der ersten Beziehungserfahrungen mit Mutter
und Vater darüber entschiedet, was sich dem Menschen neuronal einprägt. Frühe
Beziehungen bilden ein Art neuronaler Erfahrungsschablone, die wesentlichen
Einfluss auf die spätere Wahrnehmung und Bewertung der Lebensereignisse
nimmt.“ (Maaz S. 173)
„Dabei spielen erlebte liebevolle Zuwendung, sichere Bindung und die hilfreichen
Erfahrungen von Bestätigung, Trost und Unterstützung eine wesentliche Rolle für
den genetisch begründeten Anteil, etwa den von Vertrauen, Geduld und
Toleranz.“ (Maaz: S.174)
8. Ein Paar weiß, dass ein Kind damit überfordert ist, wenn es die Paar-Bindung
aufrecht zu erhalten hat (Kind als Beziehungs-Kitt), und leitet daraus die
Verantwortung ab, den Eigenwert der Partnerschaft, das kinderunabhängige Wir
der Beziehung zu erhalten und zu fördern.
9. Ein Paar hat das geistige Vermögen, unnötige und sinnvolle Eingriffe von
medizinischer und staatlicher Seite während Schwangerschaft, Geburt und
Nachgeburts-Zeit zu unterscheiden, sowie die seelische und soziale Kraft,
unnötige bis schädliche Untersuchungen und abzuwehren (Selbstbestimmungs-
Kompetenz, Ich-Stärke).
10. Ein Paar öffnet sich dafür, sich an biologisch-intuitive Körper-Prozesse
anzubinden und den Prozess des Schwanger-Seins und Gebärens konstruktivhoffnungsvoll
(guter Hoffnung sein) zu begleiten.
11. Ein Paar hat die geistigen und seelischen Möglichkeiten, aus den Vorschlägen für
Geburtsort- und Geburtsart-Auswahl (z. B. Hausgeburt, Geburtshaus, Klinik,
natürliche oder Kaiserschnitt-Geburt) den für ihre Situation passenden Weg
jenseits der Mode-, Mitwelt- und Marketing-Zwänge zu wählen, ohne in
Dogmatismus zu verfallen.
12. Ein Paar hat die innere und äußere Freiheit, die Startphase ins Leben (die ersten
drei Jahre des Kindes) zum allseitigen Vorteil aller Familien-Beteiligten zu
optimieren (Stillzeit, Elternzeit, Krippe oder Hausbetreuung, Vereinbarkeit von
Familie und Beruf, Chancengleichheit von Mann und Frau etc.).
13. Ein Paar kennt die wahrscheinliche Triaden-Dynamik (Mutter-Vater-Kind) in den
ersten drei Jahren des Kindes-Entwicklung und kann sich rechtzeitig geeignete
Beratung holen, sobald die sich entfaltende Dynamik sie zu überfordern droht.
14. Ein Paar ist in Bezug auf die Bedürfnisse ihres Kindes hinreichend einfühlsam
und feinfühlig sowie erfindungsreich in der Bereitstellung von angemessenen
Befriedigungs-Möglichkeiten.
15. Ein Paar kennt und meidet durch (begleitete) Selbsterkundung die Gefahr, selbst
erlebte Kindheits-Dramen im Zusammenhang mit ihrem Kind zu reinszenieren
(Unterbrechung des Wiederholungs-Zwangs).
„Elternschaft besteht in der Verantwortung, eigene Probleme selbständig zu
bewältigen, um die Kinder damit so wenig wie möglich zu belasten und sie
bestmöglich zu begleiten, zu bestätigen und zu fördern. Gute Elternschaft mündet
stets in die Freiheit der Kinder.“ (Maaz S. 143)
16. Ein Paar ist sich darüber im Klaren, dass ihre Fähigkeit zur guten Elternschaft, zu
Verständnis und Toleranz für ihre Kinder, für Ihre Andersartigkeit nicht voll
entwickelt ist.
Sie wissen, dass ihre Zeit, ihre Geduld und ihre Einfühlungsfähigkeit wie
Feinfühligkeit begrenzt sind.
„Alle Eltern sind begrenzt und fehlerhaft. Kinder sind nicht verantwortlich und
tragen keine Schuld an dem Befinden der Eltern.“ (Maaz S. 187)
„Eltern stehen in der Verantwortung, ihre eigene narzisstische Problematik so gut
wie möglich regulieren zu lernen, ohne sie über die Kinder auszuagieren.“ (Maaz:
S.187)
„Bei der Beratung von Müttern sollte die begrenzte Mütterlichkeit thematisiert
werden. Das eigentliche narzisstische Defizit zu erkennen, zu verstehen und
emotional zu verarbeiten ist die beste Voraussetzung, um wirklich gut Mutter oder
Vater sein zu können.“ (Maaz S. 186)
Entscheidend für die Kinder ist, dass ihnen diese Begrenzung als Problem der
Eltern und nicht als ihre „Schuld“ vermittelt wird.
„Narzisstisch gestörte Eltern sind immer in der Gefahr, Schuld auf ihre Kinder zu
projizieren. Sie brauchen die (irrtümliche) Überzeugung, nur das Beste für ihre
Kinder zu wollen und zu tun, um sich über ihre Kinder und die Elternfunktion
narzisstisch zu stabilisieren.“ (Maaz S. 143)
„Der gesunde Erwachsene braucht nicht die Erfolge des Kindes O hat Kinder, für die
er ganz selbstverständlich die elterliche Funktion und Verantwortung übernimmt, lebt
sein eigenes Leben aber auch in relativer Unabhängigkeit vom Kind” (Maaz S.188).
(Erstellt vonder Berliner Arbeitsgruppe: Paula Diederichs, Karin Gailing, Helmut von Bialy, Charlotte und Alf Schönfeldt)
Kontakt: Paula Diederichs (info@pauladiederichs.de)