“Super, dass es sowas gibt!” Mütter und Väter mit
belastender Geburtserfahrung nehmen Anlaufstelle sehr
gut an.
Bonn/ Niedernhausen, 20. Juli 2021.
“Es war das erste Mal, dass ich meine
Geschichte erzählen konnte, und das tat einfach nur gut! Super, dass es sowas
gibt!”, schreibt eine Mutter an das Hilfetelefon nach schwieriger Geburt
(www.hilfetelefon-schwierige-geburt.de). Vor einem Jahr startete das in
Deutschland einmalige Hilfsangebot mit dem Anspruch, Menschen nach einer
schwierigen und belastenden Geburtserfahrung eine leicht erreichbare
Anlaufstelle zu bieten: Ein offenes, anonymes Gespräch kann Betroffenen helfen,
aus ihren Selbstzweifeln heraus zu kommen, wieder mehr Selbstbewusstsein zu
entwickeln und das Erlebte zu verarbeiten.
Das Hilfetelefon unterstützt Familien nicht nur, aber auch gerade während der
Corona-Pandemie. Die vergangenen anderthalb Jahre haben gezeigt, dass die
teilweise sehr strengen Corona-Schutzregelungen vieler Geburtsstationen
besonders Schwangere und Gebärende sehr belasten.
Seit Juni 2020 haben die Fachberaterinnen des Hilfetelefons rund 170 Gespräche
geführt. Die Hotline ist zweimal in der Woche mittwochs von 12 bis 14 Uhr und
donnerstags von 19 bis 21 Uhr unter der Rufnummer 0228 9295 9970 erreichbar.
Am häufigsten rufen Mütter an. Die meisten erlebten die Geburt ihres Kindes
problematisch, weil sie zum Beispiel das Klinikpersonal gewaltsam und respektlos
behandelt hat oder sie über medizinische Eingriffe nicht angemessen aufgeklärt
wurden. Als besonders belastend empfinden Mütter medizinische Eingriffe wie
das sogenannte Kristellern, bei dem Geburtshelfende das Kind aus dem Bauch
herausdrücken. Auch ein Kaiserschnitt, die Anwendung der Saugglocke oder der
Dammschnitt zur Beendigung der Geburt belasten Mütter sehr.
“Wir sind überwältigt, wie gut unser Hilfsangebot angenommen wird”, sagt
Katharina Desery, Vorstand beim Verein Mother Hood. “Das zeigt, wie dringend
Menschen Unterstützung brauchen, wenn sie die Geburt ihres Kindes belastet.”
Desery hat das Hilfetelefon nach schwieriger Geburt gemeinsam mit Paula
Diederichs von der International Society for Pre- and Perinatal Psychology and
Medicine, ISPPM, gegründet.
Was brauchen betroffene Familien? Was sind die Ursachen für
schwierige Geburtserfahrungen?
“Psychische Folgen von Geburten werden in der breiten Öffentlichkeit kaum
beachtet”, sagt Paula Diederichs. “Das muss sich dringend ändern, denn Familien
leiden oft jahrelang unter ihren Erfahrungen.” Diederichs leitet in Berlin-Mitte eine
SchreiBabyAmbulanz und das WIKK-Weiterbildungsinsitut für Ressourcen- und
Körperorientierte Krisenbegleitung, welches Weiterbildungen zur Krisenbegleiterin
für Schwangerschaft, Geburt und früher Kindheit anbietet.
Familien brauchen nach einer schwierigen Geburtserfahrung für sie passende,
leicht zugängliche Unterstützung. Die Bedürfnisse sind dabei vielfältig.
Verschiedene Therapieformen, wie Traumatherapie oder Psychotherapie, können
genauso helfen, wie eine Beratung bei einer Schreibabyambulanz oder eine
Familienberatung. Die Beraterinnen des Hilfetelefons informieren, welche
Therapieformen in Frage kommen können. Anrufende können sich an ihrem
Wohnort die für sie passende Unterstützung suchen.
“Die Anrufe der Mütter zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen schlecht
begleiteten Geburten und der psychischen Belastung von Familien besteht”,
erklärt Katharina Desery.
Der Personalmangel in den Kreißsälen und das oft fehlende Verständnis für die
emotionalen Folgen von unzureichender Geburtsbegleitung haben negative
Auswirkungen auf die Geburtserfahrung, auf das Wohlbefinden der Mutter und
letztendlich auch auf das Kind. Werden Gebärende zum Beispiel nicht
kontinuierlich gut betreut und über medizinische Eingriffe aufgeklärt, fühlen sie
sich hilflos, ausgeliefert, gestresst oder übergangen. “Diese Gefühle verschwinden
nicht einfach, wenn das Kind auf der Welt ist”, sagt Paula Diederichs.
“Wir setzen sehr viel Hoffnung in neue medizinische Leitlinien, zum Beispiel zur
‘Vaginalen Geburt am Termin’. Sie stellen das Wohlbefinden der Gebärenden ins
Zentrum der Geburtsbegleitung”, sagt Katharina Desery. “Dadurch muss sich in der
Geburtshilfe insgesamt etwas ändern, damit Familien endlich besser versorgt
werden.”
Was Anruferinnen über das Hilfetelefon sagen oder schreiben:
“Vielen Dank für die Unterstützung. Ich habe mich sehr gut beraten und vor allem
verstanden gefühlt. Ich bin sehr dankbar, dass es so eine unkomplizierte,
niedrigschwellige Hilfe gibt. Ich hoffe, dass sich viele betroffene Frauen melden
und den Mut haben über ihre belastenden Erfahrungen zu sprechen.”
“Es war das erste Mal, dass ich meine Geschichte erzählen konnte und das tat
einfach nur gut!”
“Es besteht ein großer Bedarf, viele Freundinnen haben Themen dieser Art.”
“Es ist so wichtig, dass die Frauen bezüglich ihrer Emotionen und Erfahrungen
gehört werden.”
“Ich musste das jetzt einfach mal rauslassen! Nun geht es mir besser.”
Hintergrund
Die Vereine Mother Hood und ISPPM schätzen, dass rund 20 bis 50 Prozent der
Frauen die Geburt ihres Kindes als schwierig, belastend oder sogar traumatisch
erleben.
Therapeutinnen wie Viresha J. Bloemeke, der Psychoanalytiker Ludwig Janus oder
der Psychiater Karl Heinz Brisch weisen schon länger auf den Zusammenhang
zwischen einer schwierigen Geburtserfahrung und Folgen für Mutter, Kind und die
Familie als Ganzes hin. Dazu zählen Bindungsstörungen, Ängstlichkeit im Umgang
mit dem Kind, Angst vor einer weiteren Schwangerschaft sowie postpartale
Depressionen bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung.
Kinder reagieren auf belastende Geburtserfahrungen beispielsweise mit dem
sogenannten Schreibabysyndrom, Schlafproblemen sowie psychischen und
motorischen Auffälligkeiten.
Über das Hilfetelefon nach schwieriger Geburt:
Das Hilfetelefon nach schwieriger Geburt ist ein Projekt der Bundeselterninitiative Mother
Hood e. V. in Kooperation mit der International Society for Pre- and Perinatal Psychology
and Medicine, ISPPM e. V. .
Pressekontakt: Katharina Desery, Telefon: 0163 7274735,
E-Mail: presse@hilfetelefon-schwierige-geburt.de
Über Mother Hood e. V.:
Bei Mother Hood e. V. setzen sich Eltern bundesweit für eine gute Versorgung von Mutter
und Kind vor, während und nach der Geburt ein. Durch Kreißsaalschließungen, Personalmangel in Kliniken und Lücken in der Hebammenversorgung ist eine sichere Geburtshilfe
nicht mehr überall gegeben. Zu den Hauptforderungen von Mother Hood gehören unter
anderem die Eins-zu-Eins-Betreuung durch eine Hebamme und die Wahrung des Rechts auf
die freie Wahl des Geburtsortes (www.mother-hood.de).
Über ISPPM e. V.:
Die International Society for Pre- and Perinatal Psychology and Medicine, ISPPM, beschäftigt sich mit der frühesten Phase der menschlichen Entwicklung, beginnend vor der Empfängnis bis nach der Geburt. Sie begreift diesen prä- und perinatalen Lebensabschnitt als
untrennbar verknüpft mit der Mutter und ihrer Umwelt.
In der ISPPM kommen zahlreiche Professionen zusammen, um auf der Grundlage authentischer wissenschaftlicher Methoden die Bedeutung der prä- und perinatalen Erfahrungswelt
zu ergründen und dieses Wissen in die Praxisfelder rund um Schwangerschaft, Geburt und
Therapie umzusetzen sowie gesellschaftspolitisch Einfluss zu nehmen (www.isppm.de).